Vom reduktionistischen Standpunkt, der die summa logica des neuen Jahrtausends zu werden verspricht, ist da nichts, objektiv und zweifelsfrei, als bloß der nackte Boden der Materie, was uns zu Füßen liegt und Reduktionisten zu Kopfe steigen kann: kein Anflug von Geist weit und breit ist in den Ergüssen dieser ausgehöhlten Denkform mehr auszumachen. Hier liegt unterm Schutt einstürzender Spekulationen das Grab Gottes, wo alle Gewissheit in Kisten ruht. Kein Weg führt heraus aus diesem System enggeführter Erkenntnis, nicht mal der Tod; als Unruhe, Skandal und Antagonist allen Denkens ist er das System selbst, sein Wesen und sein Schlüssel, der Einlass gewährt in eine Unterwelt schweigender Kryostaten, in denen tiefgekühlte Leichen texanischer Milliardäre auf ihre Wiederkehr im scientologischen Himmel des Reduktionismus warten. Auf der Rückseite der Tür allerdings, die im letzten Jahrhundert mit langem Nachhall ins Schloss gefallen ist, fehlt das Schlüsselloch. Seit Gott in Deutschland gestorben ist, soll der Geist kategorisch kaltgestellt werden. Es steht zu befürchten dass moderne Zeiten fortfahren werden, immer moderner zu werden. Die Perspektive geht auf reine Dekadenz; Geist in Aspik.
Der Geist hingegen, insofern er sich der objektivierenden Selbstkonstruktion anschließt, indem er sich aus dem objektivierten Subjekt ausschließt, hält seinen reduktionistischen Büroschlaf im Untoten da hin kein Wort je dringt; woher auch keines mehr klingt, sieht man vom Gezeter der Broker und der jeweils letzten Schreckensnachricht ab, wo eine Selbstkonstruktion aus Wissen und Willen auf den Terror ihrer selbstverschuldeten Wirklichkeit stößt, in der sie herumspuken muss wie ein Gespenst, das sich eingesperrt hat in eine Welt aus Materie.
Leben hieße: in Resonanz treten, schwingen. Vielleicht sind meine Neuronen so etwas wie die Stimmschrauben in einem Piano. Die Frage ist: ist da ein Pianist? Insofern er abwesend ist, ist sie reiner GEIST. Warum sollte man argumentieren, etwas existiere nicht, das per definitionem abwesend ist – erfahrbar, aber nicht aus Materie? Wenn Materie allein Existenz zukommt, wie es der neue Dogmatismus fordert, wird sich der Geist achselzuckend damit begnügen, dass er lebt. Man hat oft genug versucht, ihn einzuschüchtern, zu vertreiben oder sogar zu verbrennen. Die Waffen des Gegners sind stumpf, geeignet zum Totschlag, aber wenig überzeugend. Fasst man Existenz in dem tautologischen Sinn auf, der dem Reduktionismus wesentlich ist, nämlich als materielle Existenz, ist es tumb tautologisch, der Materie Existenz zuzuordnen – als wollte man Dunkel mit Schatten ausleuchten. Demgegenüber ist es sinnvoller, Materie als objektiven Vordergrund der subjektiven Wahrnehmung aufzufassen. Nicht bloß an ihrer Existenz, an ihrer Unmittelbarkeit und Anwesenheit bestehen keine Zweifel. Ein Abwesendes kann vordergründig nicht existieren und dabei Geist bleiben, der sich der Welt gegenüber im Hintergrund hält. Er genügt sich ganz darin dass er lebt; Existenz hat ihm zufolge meist eher mit Finanzen und dem Arbeitsplatz zu tun, der ihn fast rund um die Uhr beschäftigt, als mit abstrakten Ansichten aus Materie und neuronalen Klaviaturen. Geist lebt mit meinem Verstand und arbeitet hart an ihm. Es ist an ihm zu differenzieren, Zeit zu erfahren und zu leben. Niemand als der Geist selbst soll Auskunft geben, was dem Geist das Leben des Geistes bedeutet. Der Verstand mag im selben Maße eine Idee davon entwickeln, wie aufmerksam er dem Geist zuhört. Diese Idee würde man als Intelligenz, und die Aufmerksamkeit als Intuition bezeichnen; und Intelligenz, insofern, ist lebendiger Verstand. Ist er allerdings in die tödliche Falle der instrumentellen Vernunft getappt, so würde er jetzt mit den Achseln gezuckt und sich Lukrativerem zugewandt haben oder der Oberfläche eines Bildschirms. Er möchte sich seiner Lebendigkeit kaum mehr allzu bewusst werden, während er mühsam verendet, was man beruflich erfolgreich und ein erfülltes Leben nennt und nebenher erklärt, warum es aus dem Netz neuerdings gespenstisch nach dem Fallbeil des Reduktionismus ruft, das unser Denken und Leben vom Geist erlösen soll: insofern nämlich Geist und Leben schon in eins gesetzt sein müssen, um Sinn zu machen. Bis dahin!
Raum ist die Grundeigenschaft, oder besser gesagt, die Substanz, von Materie – als Abstand zwischen Körpern und als deren Ausdehnung. Ebenso allerdings ist Zeit, als ein Abwesendes, Unmaterielles, die Substanz des Geistes – zu messen als der Abstand zweier Ereignisse seiner Beobachtung. Zeit liegt nicht vor Augen wie ein Meter Materie, der unmittelbar da ist. Um sie wahrzunehmen oder zu messen, bedarf es des Vergleichs der Beobachtungen, der Ablesungen der Uhr. Zeit wird sich ihrer im Geist bewusst. Die Substanz ist es, die zu Leben erwacht ist.
Es ist von fundamentalem Interesse sich klarzumachen, wie unlösbar Zeit an den Begriff der Beobachtung geknüpft ist, dem objektivierenden Begreifen des Geistes, der eicht und misst. Jede Zeitspanne bemisst sich als Vielfaches von Einheiten die wiederum Zeitspannen sind, die zwischen Ereignissen der Beobachtung, dem wiederholten Ablesen der Uhr, liegen, die nichts anderes tut als Ereignisse zu zählen. Wir wissen durch die Quantenphysik, dass Beobachtung objektiv in einzelnen Ereignissen vorliegt, die quantisierte Übergänge sind: sie bilden ein Gitter aus diskreten Punkten in Raum und Zeit, die physikalische Raumzeit, die der Relativität der Beobachter unterliegt. Quanten sind es, was die glühenden Nebel ins Weltall versprühen: jedes einzelne ein Ereignis immanenter Beobachtung, die objektive Manifestation von Geist, der sich im Hintergrund hält, wie es seine Art ist, während er auf der Rückseite des Beobachtbaren im Schatten Pfade auslotet und die Integrale der Bewegung ergänzt. Er ist von mathematischem Verstand, so logisch zwingend und eiskalt berechnend wie die Zeit selbst. Daher unterliegt es keinem Zweifel, dass Sterne weiterleuchten würden, gäbe es nirgends Beobachter im All. Die Wellenfunktion ist als gegeben anzusehen und immerhin teils vermessen: als Erhaltungsgrößen, als Masseverteilung, deren uns zu nächsten Sterne und Nebel am Nachthimmel stehen. Es ist positivster Positivismus, aus der beobachtbaren Expansion des Universums zu folgern, dass alles soweit man blickt der Zeit und insofern dem Geist unterliegt, in dem an sich und im Einzelnen der Beobachter ist; abstrakt für sich im Begriff, im Einzelnen begreifend. Warum sollte dieselbe Physik sonst überall gelten, wer sollte sie betreiben, und wie sonst könnten wir? Es wäre weder möglich irgendwas zu unterscheiden, noch dass überhaupt etwas passierte; und dass etwas passiert ist die Voraussetzung dafür, dass wir überhaupt zu denken begonnen haben und nach einer ewigen Struktur im Kosmos suchen, die in allem was vielfältig ist zu vermuten ist. Der Geist ist als abstrakter Beobachter, das legt alle Beobachtung nahe, von Anbeginn in der Welt. Er hat etwas logisch Zwingendes. Es bedarf keines Menschen, damit der Kosmos so weiterläuft, wie es physikalisch folgerichtig ist. Das ist beruhigend. Aber er tut es nicht einfach so oder weil er einem tumb reduktionistischen Dogma unterliegen möchte, sondern weil er in Naturkonstanten absolut geeicht ist. Ohne absolute Eichung wäre alle Beobachtung zwecklos und nicht bloß relativ. Dieser Geist ganz im Hintergrund, viel tiefer als mein Verstand, der aus ihm lebt, ist weder solipsistisch noch vereinzelt; er ist eins mit sich und der Welt. Nicht der Beobachter enthält den Geist; umgekehrt: der Geist enthält den Beobachter, als Abstraktum und im Einzelnen, in dialektischer Auseinandersetzung mit seiner Konkretion. Als Abstraktum bezwingend. Im Einzelfall lebendig, mit Irrtümern, die erklärbar sind, wenn man auf Geist hört.
Der menschliche Körper ist, das mag man dem Reduktionismus konzedieren, eine biologische Maschine. Was treibt sie an außer Sauerstoff und Hamburgers? Stehen hinter aller Art Absicht allein die Determinanten des Überlebens – nackte Notwendigkeit, wie sie anlässlich Darwin die Evolution insgesamt vor sich her treibt? Dazu müsste aber schon, denkt man in diese Richtung weiter, eine gehörige Portion Wahnsinn kommen, die einem Überleben insgesamt abträglich ist – Raffgier, die Paranoia und Hass erzeugt, Krieg und Terrorismus, Lebensweltzusammenhänge zerstört und gegen uns aufstört. Unterliegen wir also rein biologischen Determinanten? Wollen wir die Proteine in den Körperzellen und die Gravitation für den Skandal der Unwissenheit und des falschen Denkens verantwortlich machen? Am Ende gar für solche Vernebelungsversuche, wie sie der Reduktionismus formuliert, der die Existenz von Geist kategorisch in Abrede stellt und ihm damit das Leben absprechen will – sicherlich nicht zufälligerweise zu einem Zeitpunkt, da es im Verlauf der globalisierten Misere der herrschenden Zivilisation zu erstarren droht wie ein Kaninchen unterm kalten Blick der Schlange? Der Geist allerdings bleibt schwer verdaulich. Man kann versuchen ihn totzureden oder totzuschweigen – ein Sinn lebt in uns weiter, der nicht Wahnsinn ist, aber gleichwohl aus eigenem Antrieb und nicht bloß unter reproduktivem Zwang weiterdenkt, was irgendwie so aussieht als wenn einer nach innen horchte. Ein Eigenleben von Geist, der über neuronalen Netzen, biblischen Gewässern und dem globalen Jammertal schwebt wie eine Suite von Vivaldi für Flöte und Klavier über einem dunstigen Morgen.
Wer aber ist der Pianist, mit dem in Resonanz zu treten wäre? Darauf ist keine Antwort, falls man nicht selber die Ohren aufmachen und probehalber ein paar Töne anspielen will. Mehr ist nicht zu sagen. Der Rest ist bloß das Halbe Leben, das ein Gefängnis ist.
