MUTTER UNSER

Die Du bist die Erde
Dein Antlitz ist mir heilig
Dein Reich ist hier
Dein Wille geschieht jetzt
Am Boden wie am Himmel

Unser tägliches Brot gib uns weiterhin
Und vergib uns weiterhin auch unseren Wahnsinn
Wie auch wir ihm täglich ausgeliefert sind
Doch erspare uns keine Katastrophe
Sondern zeig uns nur wo das langgeht

Denn Dein ist der ganze Reichtum
Und Kraft ohne Ende
Und an Herrlichkeit
Genug für uns alle

Danke

AN DAS LICHT

Ich wär so gern die Katze auf deinem Arm
und du wärst mein Baum
und hieltest mich gleichzeitig warm
ein Leben lang
bis in den letzten Traum

im bunten Funkeln der Ranunkeln bleibst du Gestalt
trittst mir entgegen als mein Weg und gibst mir Halt
und noch im Dunkeln
wenn dein Schritt verhallt
bis in die feinsten Runzeln im Asphalt

PHOTON UND SCHWEIN

Das Photon ist ein Filmprojektor der dich sieht
Das ist so ähnlich wie ein Trog der Schweine frisst
Die Zeitlupe deiner Eleganz lässt dich fast wirklich scheinen
Doch bist du aufgewickelt in fester Rolle wie ein Film
In Ihm

DAS GEHEIMNIS

Wenn alle Stricke reißen
binde ich dich an mich
Doppelkopf meiner deiner
Du Ich

Heute Nachmittag auf der Brücke hast du es mir anvertraut

Ich auch habe ich geantwortet
an einer Ampel wartend
auf dich

auf meinen Moment

entgegenkommend aus dem Trugbild der Stadt
wie ein Gesicht
das mich sucht

ÜBER MICH

keine Frauengeschichten
nichts über Männer
nur von den Orten erzählen

das Gesicht ist die Maske die Welt das Gesicht
wer war Bologna
muss man fragen
und was für ein krachlederner Freak irgendwie sympathisch München
aber Köln war Chargesheimer
Chargesheimer hat sich umgebracht
und wer ist Bonn
von Tucson/Arizona oder New Haven/Connecticut ganz zu schweigen

wer geht in Lumpen
wohin geht Mubarak nach der Arbeit –
er trifft durch Zufall mich auf der Straße und wir sitzen vorm Pizza Blitz am alten Platz
und schwitzen Kaffee

und alle schwarzen Gedanken der Welt verhökere ich im Internet für lau
gegenüber das Gesicht der Stadt und ich sage laut zu ihr: Bonn
ich liebe dich

Warum ich an das Wort glaube

Wer an das Wort glaubt wird nicht ausgeraubt
Es hat sich selbst ins Ungemach geschraubt
Es hat den Regenwald entlaubt und sich am Großhirn festgesaugt
Es hat den Boden ausgelaugt und Grund auf Wüstensand gebaut
Es hat ins Neue Land geschaut und sich den Weg dorthin verbaut
Es liegt im Jenseits angestaut
Wer an das Wort glaubt wird nicht ausgeraubt

Kinderspiel

Foto: Angela Engert

Die Totenglocke schlägt gewichtig vom Turm der Marienkirche und verkündet das eherne Gesetz der Zeit: auf ewig immer zu Ende zu sein. Ich hebe ab und bin wieder verbunden mit Jutta – es schweigt am anderen Ende der Leitung. Eine zärtliche Stille hüllt mich ein, legt wieder auf. Ich komme zu mir.

Die Glocke ist verstummt; doch auch der Lärm der Lebenden ist abgeebbt. Im Moment nicht mal Hundegekläff; selbst das Selbstgespräch der Irrsinnigen pausiert. Oktober – mir ist auf der Sonnenseite heiß und gleichzeitig auf der Schattenseite kalt, wie ich da so sitze – mit meiner Zigarette, bei den anderen Alten, auf der Bank.

Ein kleiner Junge treibt den Ball über den Platz; ein großer schleppt Bier für alle an – die Kindheit kehrt nicht zurück; auch nach dem zwölften Schoppen. Jetzt aber Claudia, die Zwergfrau, mit ihrem Kinderwagen voll Puppen und eingesammelter leerer Flaschen!?

Um einen sienaroten Gummiball dreht sich die Welt – erst tollen die Kinder um ihn herum; dann hängt er unerreichbar gegen Abend am Himmel und glüht orange vor Sehnsucht nach dem ausgelassenen Glück der Kindheit!

Ein Kinderspiel die Welt … der Tod, der alte Kinderschreck, kehrt die Reste zusammen, wenn es vorbei ist. Im Jenseits, glaube ich, halten sich die Erwachsenen die Bäuche über uns und probieren das Nachlaufen.

SONNENUNTERGANG

Am Abendhimmel zartrosa Wolkenzeilen wie Verse eines Gedichts mit silbrig hellen Akzenten aus der Müllverbrennungsanlage –

du stellst dich selber vor, mein Licht: als Autor, der wieder einen Tag erzählt hat und insgeheim, wenn auch für jeden ersichtlich, hinter allen Geschichten stand, an denen man teilnahm, nicht nur als Zuschauer;

jetzt spontan improvisierend wie in einer himmlischen Poetry Slam …
Und dass der rote Fleck im Westen von innen glüht wie vor Verlangen, macht dich aus; und dass meine Zigarette glimmt wie eine Erinnerung an die Sehnsucht, die einst in uns war –

du mischst dich ein in meine Gedanken; so wie der Mond noch in die finsterste Nacht!